“Operation am offenen Herzen”

Auch die Spielzeit 2014 des San Martín-Theaters findet inmitten von Umbauarbeiten statt

Von Susanne Franz

san_martin
“Im Mai 2015 sind wir fertig!” Solchermaßen klare Worte ist man von einem Politiker gar nicht gewöhnt. Daniel Chain, Bauminister der Stadt Buenos Aires, sprach sie aus und bezog sich dabei auf das Ende der umfangreichen Restaurierungsarbeiten im und am Complejo Teatral de Buenos Aires (CTBA), der neben den Sälen des San Martín Theaters auch das Teatro Alvear sowie die Barrio-Theater “Regio”, “De la Ribera” und “Sarmiento” umfasst. Am Mittwochmittag umriss Chain vor zahlreichen Journalisten und vielen Künstlern des CTBA im Rahmen der Pressekonferenz zur Ankündigung der Spielzeit 2014 anschaulich die Situation, in der die CTBA-Theater sich seit mehr als einem Jahr befinden: “Das ist, wie wenn man die Maler im Haus hat”, sagte der Politiker. “Es fordert allen eine Menge ab, angefangen bei den Künstlern, die proben wollen, über die Theaterleiter, die das Programm planen, bis zu den Zuschauern, die mit Unbequemlichkeiten konfrontiert sind.” Es könne weiterhin vorkommen, dass es mal kein Wasser gebe oder dass der Strom ausfalle. “Umbauarbeiten bei laufendem Theaterbetrieb, das ist wie eine Operation am offenen Herzen”, so Chain. “Aber wir wollten die Theater auf keinen Fall schließen.”

202 Millionen Pesos sind für 2014/2015 vorgesehen, um alle Räumlichkeiten des San Martín wieder zugänglich zu machen und in einen perfekten Zustand zu versetzen, um das Alvear besser gegen Feuer abzusichern, endlich Proberäume für das Tanzensemble des Theaters einzurichten, den Kostüm-Schatz adäquat unterzubringen, neue Sound- und Beleuchtungssysteme in den Theatersälen zu installieren, die Toiletten zu erneuern, die Theater behindertengerechter zu gestalten und vieles mehr.

Kulturminister Hernán Lombardi stellte klar, dass der dreistellige Millionenbetrag für die Restaurierungsarbeiten zusätzlich zur normalen Förderung der Stadt Buenos Aires für das Theater gezahlt werde, die im kommenden Jahr etwa 20 % über der von 2013 liegen soll. Jenseits von Finanz- und Verwaltungsfragen freute sich Lombardi vor allem über die Highlights der kommenden Theatersaison. “Wir sind sehr zufrieden und stolz darauf, eine der interessantesten Spielzeiten der letzten Jahre vorzustellen!”, sagte Lombardi. “Und ich will nicht etwa angeben.”

Nach einem kurzen Einführungsvideo gab dann Theaterdirektor Alberto Ligaluppi einige Einblicke in das, was Theaterfreunde im kommenden Jahr erwartet. Das “Globe Theatre” komme diesmal mit einem eher unbekannten Stück, scherzte Ligaluppi bei der Ankündigung des “Hamlet” einer Gruppe, die wie keine zweite für ihre Shakespeare-Inszenierungen bekannt sei. Die thailändische Gruppe “18monkeysdancetheatre” bediene sich zwar der landestypischen Masken, tanze aber ausschließlich zu Piazzolla. “Wir wollen ab sofort jedes Jahr eine Gruppe nach Argentinien holen, die in ihrem Heimatland mit Aspekten der argentinischen Kultur arbeitet”, führte Ligaluppi aus.

Die Ausstellung “Presencia española en la historia del San Martín” beleuchte umgekehrt die Einflüsse anderer Kulturen auf die Geschichte des argentinischen Traditionstheaters.

Besonderen Applaus in dieser ohnehin außergewöhnlich bejubelten Pressekonferenz bekam Ligaluppis Ankündigung, dass der CTBA sich im Jahr 2014 erstmals an der Reihe “Teatro x la Identitad” beteiligen werde. “Das ist wohl das Wichtigste, was wir mit dem Theater erreichen können – eine Auseinandersetzung mit unserer Identitä!”, rief der Direktor.

Lacher gab es bei der Frage einer Besucherin, ob man etwas davon wüsste, dass das Teatro Colón auf seiner kürzlichen Pressekonferenz angekündigt habe, beim Programm für die Schulferien mit dem Teatro San Martín zusammenarbeiten zu wollen. “Ja, haben wir gehört”, meinten Ligaluppi und Lombardi übereinstimmend. Allerdings sei vorläufig geplant, in den Ferien in allen Ecken des Theaterkomplexes Puppenspiele aufzuführen.

Zum Abschluss gab es einen besonderen Leckerbissen: Aus einem wahren Schatz an Tonbandaufnahmen berühmter Künstler, der kürzlich gefunden wurde und jetzt digitalisiert werden soll, wurde den Besuchern eine Aufnahme von Mercedes Sosa aus dem Jahr 1973 vorgespielt.

(Foto)
Pressekonferenz zur Ankündigung der Spielzeit 2014 (v.l.n.r.): Daniel Chain, Hernán Lombardi, Alberto Ligaluppi.
(Foto: Carlos Flynn)

Die CTBA-Spielzeit 2014 (Auszüge):

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »

Begegnung von Kunst und Wissenschaft

Kulturevent FASE 5.0 steht unter dem Motto “Metáforas de la Supervivencia”

Von Janina Knobbe

logoIn diesem Jahr findet das Kulturevent FASE 5.0 unter dem Motto “Metáforas de la Supervivencia” (Metaphern des Überlebens) statt: Vom 8. bis zum 11. November begegnen sich zum fünften Mal Kunst und Wissenschaft im Centro Cultural Recoleta (Junin 1930, Buenos Aires). Unter der Beteiligung verschiedener privater und öffentlicher Institutionen sowie unabhängiger Künstlerkollektive und Bildungseinrichtungen werden Besuchern vier Tage lang die Türen geöffnet und neue Tendenzen der Kunst gezeigt. Darunter finden sich vielfältige und interaktive Installationen, Interventionen, Fotos, Videokunst, audiovisuelle Projekte, Robotik, Augmented Reality, Computerspiele, Filme, Performances und Livemusik.

FASE 5.0 ist das Highlight des Centro Cultural Recoleta bei der diesjährigen Langen Nacht der Museen (“La Noche de los Museos”), die am Samstag, den 9. November stattfindet. In diesem Rahmen zeigen nationale und internationale Künstler von 20 Uhr bis 1 Uhr ihre Performances. An diesem Abend findet FASE 5.0 auch im Kulturzentrum der chilenischen Botschaft in Argentinien (Tagle Ecke Av. del Libertador) statt, hier wird es bis 1 Uhr Installationen, Performances und Livemusik geben.

Ein ausführliches Programm ist hier zu finden.

Infos zum Mega-Event “Lange Museumsnacht” findet man hier.

Kunst als “Brücke”

Gemeinnütziges Zwei-Kulturen-Projekt “Cuatro x Dos – Cuatro Artistas, Dos Culturas”

Von Janina Knobbe

carol_de_youngVier Künstler zeigen in Buenos Aires im Rahmen einer Vernissage die Resultate ihrer Zusammenarbeit unter dem Titel “Cuatro x Dos – Cuatro Artistas, Dos Culturas”. Am 6. November laden die Künstler Carol de Jong (Foto), Isabel Hooft, Amy van Helden und Balwina van den Brandeler von 19 bis 21 Uhr ein, ihr Projekt im Espacio de Arte Milo Lockett (Cabrera 5507, Buenos Aires) anzusehen. Das Projekt präsentiert sich unter der Schirmherrschaft der Botschaft der Niederlande in Argentinien und soll laut der Künstler, die alle holländische Wurzeln haben, nicht nur die einzelnen Kunstwerke zeigen, sondern auch die Verschmelzung beider Kulturen sichtbar machen. Das Projekt will mit dem Konzept der territorialen Gebundenheit brechen und die Möglichkeit, Kunst auch als eine “Brücke” zwischen zwei Orten zu betrachten, demonstrieren.

Die Einnahmen des Projekts und seiner Aktionen mit anderen Künstlern, die eingeladen sind, werden an die Stiftung “Asociación Holandesa de Beneficencia” gespendet, welche holländischen Familien benötigte soziale und finanzielle Hilfe bietet. Bei dem Projekt handelt es sich um eine Wanderausstellung, die auch in anderen Städten Argentiniens gezeigt werden und ihren Abschluss in Amsterdam finden soll.

Kalender / Agenda

Click aquí­ para leer la versión en castellano.

Ausstellungskalender 02/11/2013-09/11/2013

Von Susanne Franz

marcos_lopez11Am gestrigen Freitag um 18.30 Uhr startete “Invisible” (Unsichtbar bzw. “Nie zuvor gesehen”). Zuerst wurden Projektionen von Originaldias von Nora Lezano, Fernando Carrera, Euge Kais und Marcos López gezeigt. Letzterer führte auch ein Video mit unveröffentlichten Fotos von 1980 bis 1995 vor. Danach war die Digitalfotografie an der Reihe, mit “Uraufführungen” von Werken von Lena Szankay, Julio Fuks, Jorge Miño, Martín Estol, Ezequiel Pontoriero, Diego Levy, Lihuel González, Gonzalo Maggi und der “Fototeca de ARGRA”. Auf dem Bild ein unveröffentlichtes Foto von Marcos López.

Heute geht es weiter mit “Invisible / Fotografía en Vivo”. Treffpunkt ist das Zelt auf der Terrasse des Centro Cultural Recoleta. Die Veranstaltung läuft im Rahmen der Fotografie-Messe Buenos Aires Photo 2013.

Die Ausstellungen der Woche:

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »

Agenda / Kalender

Klicken Sie hier, um die deutsche Version zu lesen.

Agenda de Muestras 02/11/2013-09/11/2013

Por Susanne Franz

marcos_lopez11El viernes empezó el “Invisible”. A partir de las seis y media de la tarde hubo proyecciones de diapositivas originales de Nora Lezano, Fernando Carrera, Euge Kais y Marcos López, que también mostró un video de sus fotos de los años 80 a 95. Luego era el turno de lo digital, con el estreno de los trabajos de Lena Szankay, Julio Fuks, Jorge Miño, Martín Estol, Ezequiel Pontoriero, Diego Levy, Lihuel González y Gonzalo Maggi y la Fototeca de ARGRA. La foto es un inédito de Marcos López.

Hoy sigue “Invisible / Fotografía en Vivo”, en la carpa instalada en la terraza del Centro Cultural Recoleta, en el marco de Buenos Aires Photo 2013.

Las muestras de la semana:

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »

Sprache und Kultur des Jiddischen lebendig erhalten

Robert Neumann und Dr. Ulrike Kiefer vom Förderverein für jiddische Sprache und Kultur stellten in Buenos Aires das EYDES-Projekt vor

Von Janina Knobbe

neumann_kieferDie jiddische Sprache und Kultur ist nicht jedem alltäglich gegenwärtig, und vielen ist nicht mehr bewusst, dass sie nicht nur Bestandteil der europäischen Kultur, sondern durch Migrationsströme während sowie nach dem zweiten Weltkrieg auch auf anderen Teilen der Welt präsent ist. Dass die jiddische Sprache auch heute noch auf dem lateinamerikanischen Kontinent in einigen Gemeinden als Muttersprache erlernt wird, ist den wenigsten bekannt.

Damit weder die Sprache noch die Kultur des Jiddischen in Vergessenheit geraten, wurde in Argentinien, ein Land, welches während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und Europa viele Flüchtlinge jüdischer Abstammung aufnahm, bereits im Jahr 1928 die Stiftung IWO (Instituto Judío de Investigaciones) mit Sitz in Buenos Aires gegründet. Die Stiftung hat sich die wissenschaftliche Untersuchung, den Erhalt und die Verbreitung der jiddischen Kultur zum Ziel gemacht.

Dieselben Ziele verfolgt der deutsche Förderverein für jiddische Sprache und Kultur, der seit 1991 existiert, seinen Sitz in Düsseldorf hat und vierzehn freie Mitarbeiter zählt, die auf der ganzen Welt verteilt sind. Der Förderverein hat sich besonders eines in New York liegenden Archivs mit Interviewmaterial in jiddischer Sprache angenommen.

Vergangene Woche ist eine Delegation, bestehend aus dem Vorsitzenden des Vereins Robert Neumann sowie Dr. Ulrike Kiefer, langjähriges Mitglied des Vereins, nach Sao Paulo und Buenos Aires gereist, um das Projekt EYDES (Evidence of Yiddish in European Societies) vorzustellen. Hierbei handelt es sich um ein fünftausendstündiges Archiv mit Tonbandaufnahmen, welche in Form von Interviews die linguistischen Variationen der jiddischen Sprache innerhalb sowie außerhalb Europas dokumentiert.

Dieses Projekt wurde in den 1950er und 1960er Jahren von dem Linguisten Uriel Weinreich in den USA durchgeführt und liegt heute dank der Hilfe und Mitarbeit von freiwilligen Wissenschaftlern und Freunden der jiddischen Sprache in digitalisierter Form vor und ist für jeden frei zugänglich. Kiefer, Spezialistin für jiddische Sprache und Kultur, sowie Neumann, Linguist und Softwarehersteller für Sprachtechnologie, stellten das EYDES-Archiv am 21. und 22. Oktober in den Räumen des IWO in Buenos Aires im Rahmen einer Konferenz vor.

Laut Neumann besteht die Besonderheit dieses Archivs darin, dass es aus Tonbandaufnahmen besteht, da die Dokumentation von gesprochener Sprache im Normalfall lediglich in Papierform vorliegt. Das Archiv dient heute hauptsächlich zu Forschungszwecken, kann aber auch als Unterrichtsmaterial zum Erlernen des Jiddischen gebraucht oder als “Museum” für die sprachlichen Variationen des Jiddischen in der Welt betrachtet werden.

Über die Präsentation des Projekts hinaus lag die Intention ihrer Reise darin, einen direkten Austausch mit anderen Organisationen und Stiftungen anzuregen und die Begründung zukünftiger Partnerschaften zu initialisieren. Der Konsens des IWO und des Fördervereins liegt in der internationalen und transnationalen Verbreitung und Förderung des öffentlichen Bewusstseins für die jiddische Sprache und Kultur vor und nach 1945, jedoch vor allem auch in der internationalen Verbreitung von Informationen über das digitale Archiv, welches laut Kiefer und Neumann als ein gemeinsames Produkt aller Institutionen, die den Erhalt und die Förderung des Jiddischen in der Welt unterstützen, angesehen werden soll.

Hierbei soll auch der eurozentristischen Ausrichtung der Wissenschaftsproduktion zu dieser Thematik entgegengewirkt werden. Neumann und Kiefer zeigten sich zufrieden mit den bisherigen Resultaten ihrer Auslandsreise und hoffen auf die weitere Entwicklung internationaler Kooperationen sowie ein international ausgerichtetes Interesse an dem EYDES-Projekt, welches weiterhin durch die Mitarbeit von Freiwilligen existiert. Zukünftig steht die Transkription des Interviewmaterials aus, welche zur Erweiterung des wissenschaftlichen Umgangs mit dem Archiv beitragen soll.

Foto:
Robert Neumann und Dr. Ulrike Kiefer von Förderverein für jiddische Sprache und Kultur e.V.
(Foto: Janina Knobbe)

Kalender / Agenda

Click aquí­ para leer la versión en castellano.

Ausstellungskalender 26/10/2013-02/11/2013

Von Susanne Franz

news Juan paseo de las artes
Seit dem 24. Oktober kann man im “Paseo de las Artes Duhau” des Park Hyatt-Hotels von Buenos Aires (Posadas 1350) das “Proyecto Antártida 2005/2013” – “Projekt Antarktis 2005/2013” der argentinischen Künstlerin Andrea Juan sehen, das aus Fotografien, Videos, einer Installation und Dokumentationen von Performances besteht.

Juan begann bereits im Jahr 2004 mit der Entwicklung ihres poetischen Projektes in der Antarktis, mit dem sie die Folgen des Klimawandels anprangert. Unterstützt wird sie seitdem von der “Dirección Nacional del Antártico” (Nationalverwaltung der Antarktis) und dem “Programa Antártico Argentino” (Argentinisches Antarktis-Programm), das Projekte an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft fördert.

Juan schreibt: “In der Antarktis ist das Licht so unbeschreiblich intensiv und gleißend, dass es die Farben im Laufe eines Tages verändert, während die Linie des Horizonts sich in einer weißen Unendlichkeit verliert, in der die Sonne sich widerspiegelt, um niemals unterzugehen.” (Der komplette Text – auf Spanisch – sowie weitere Informationen und Fotos finden sich hier).

Die Ausstellung der Künstlerin der Galerie Praxis kann bis zum 5. November besucht werden. Sie findet parallel zur Fotografie-Messe Buenos Aires Photo statt, die vom 1. November bis zum 4. November im Centro Cultural Recoleta über die Bühne geht.

Die Ausstellungen der Woche:

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »

Agenda / Kalender

Klicken Sie hier, um die deutsche Version zu lesen.

Agenda de Muestras 26/10/2013-02/11/2013

Por Susanne Franz

news Juan paseo de las artes
Desde el 24 de octubre, la artista argentina Andrea Juan muestra su “Proyecto Antártida” – fotografías, videos, instalación y performance 2005/2013 – en el “Paseo de las Artes Duhau”, Park Hyatt Buenos Aires, Posadas 1350, Buenos Aires.

Juan comenzó en 2004 a desarrollar su proyecto para ser realizado en la Antártida, que contó con el apoyo de la Dirección Nacional del Antártico y el Programa Antártico Argentino lo que posibilitaba conjugar de esta manera arte y ciencia.

Escribe Juan: “En la Antártida la luz es tan intensa y brillante que modifica los colores a lo largo del día, mientras que el trazo del horizonte se funde en un plano blanco en el que el sol rebota para nunca ponerse.” (Texto completo y más info aquí).

La muestra de la artista de Praxis se podrá visitar hasta el 5 de noviembre. Se desarrolla en paralelo a la Feria de Fotografía Buenos Aires Photo (1ro de noviembre a 4to de noviembre, en el Centro Cultural Recoleta).

Las muestras de la semana:

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »

Tieftraurig und absurd – FIBA-Nachlese

“Diebe” von Dea Loher in genialer Inszenierung von Andreas Kriegenburg

Von Susanne Franz

diebe_9180
Die Bühne des Martín-Coronado-Saals des San Martín-Theaters hat sich in eine riesige Kiste verwandelt, in der sich ein gigantisches Schaufelrad dreht. In der oberen Hälfte des Raums taucht eine zweite Bühne auf – sie scheint an seitlichen Drehvorrichtungen zu hängen -, die erst parallel zur unten liegenden Bühne verläuft und dann langsam ein wenig nach vorne kippt. Sichtbar wird ein auf dem Boden liegender Mann, der ein bisschen zappelt, weil er nach unten rutscht. Er trägt Pantoffeln und einen Bademantel und düsterste Selbstmordgedanken in sich. Der Mann ist einer von verschiedenen Charakteren, von denen die deutsche Theaterautorin Dea Loher in ihrem Stück “Diebe” erzählt, das am vergangenen Wochenende das 9. Internationale Theaterfestival von Buenos Aires (FIBA) abschloss.

Wer der Mann ist, erfährt der Zuschauer erst in der zweiten Hälfte des drei Stunden und zwanzig Minuten dauernden Werks, als alle Handlungsstränge zusammen- und wieder auseinanderlaufen. Die Geschichten werden in verschiedenen Episoden erzählt, und immer ist es das große Mühlrad, das sich dreht und ein neues Kapitel gleichsam “ausspuckt”.

Das Rad dreht sich langsam, aber unerbittlich, und schiebt die eben noch agierenden Personen und ihre Geschichten erbarmunglos nach hinten weg, um wieder ein neues Kapitel aufzuschlagen. Der Boden wird zur Wand und wieder zu einem neuen Boden.

Der ständig sich wandelnde Hinter- und Untergrund vermittelt ein Schwindelgefühl und ist zugleich hypnotisch. Es ist keine Zeit, dort Bleibendes aufzubauen, so werden kaum Requisiten eingesetzt, sondern deren Namen an die Wand geschrieben, auch Orte (Polizeirevier) oder Konzepte (Familie, falsch buchstabiert) werden kurz durch ein Wort skizziert. “Sachen” wie Fenster oder Möbel sind zum Teil durch zweidimensionale Abbildungen ersetzt, die schnell an die Wand geheftet werden, ehe das Bild sich weiterdreht.

Weitere Drehmomente im Werk sind Schaukeln, die die Akteure an Seilen an den ausgestellten Rand des Drehbodens hängen und auf denen sie sich wiegen, und viele Tanzszenen im Werk, die meisten von ihnen auf eine abgrundtief traurige Art komisch.

Andreas Kriegenburgs geniale Bühne und seine auf exaktem Timing beruhende Regiearbeit mit den Schauspielern ist eine Übersetzung des monologartigen Dramas von Dea Loher, das an die Grenzen des Aufführbaren geht.

Lohers poetischer Text mit seinen vielen Wiederholungen – in einem an die Aufführung anschließenden Gespräch mit dem Publikum nannte die in Buenos Aires anwesende Dramatikerin sie “Echo-Räume” – ist in Reinform wie ein Sog, die Inszenierung Kriegenburgs macht ihn verständlich und erträglich.

diebe_2388
Der Selbstmörder wird nie nach unten auf die “wirkliche” Bühne gelangen. Einmal ist er kurz davor, der Boden senkt sich nach vorn – er macht einige unbeholfene Steptanzschritte auf dem Rand. Doch dann dreht sich das Rad wieder nach oben. Für ihn gibt es kein Weitermachen. Der Selbstmord wird dadurch symbolisiert, dass er einen Karton (mit seinen letzten Habseligkeiten) nach unten wirft.

Das Ehepaar Ida und Gerhard Schmitt begeht einen Mord, der mit einem Tanz beginnt. Der Polizist Thomas schießt seiner von ihm getrennten Frau Barbara in den Kopf. Die merkt erst, dass etwas nicht stimmt, als sie in einer Boutique rasende Kopfschmerzen bekommt und ihr schlecht wird. Die junge Mira will ihr Baby abtreiben, weil sie ihren eigenen Vater nicht kennt. Ihr Freund Josef wird bei dem Versuch, diesen zu finden, erschlagen. Rainer “Tschecki” Machatschek will seine Freundin Gabi erdrosseln, weil sie die 3000 Euro zurück will, die sie ihm geliehen hatte. Ira Davidoff sucht ihren Mann, er wollte doch nur mal spazieren gehen. Das ist 43 Jahre her, und plötzlich vermisst sie ihn. Emil will seinen Sohn Finn noch einmal sehen, der ihn seit drei Jahren nicht besucht hat, und Linda, seine Tochter, traut sich nicht, ihm zu sagen, dass Finn sich umgebracht hat.

Es sind tieftraurige und absurde Geschichten von Menschen, die wie Roboter agieren, die wie “Diebe” in ihrem eigenen Leben herumtappen und sich nicht trauen, im eigenen Haus Licht zu machen. So beschreibt es Ira Davidoff, laut Loher die zentrale Figur des Stückes, obwohl sie nur kurze Auftritte hat.

Der wertvolle Text Dea Lohers wird von der genialen Inszenierung Andreas Kriegenburgs – der auch in Buenos Aires war und das Publikum mit seiner offenen, großzügigen Denkweise bezauberte – getragen und übertroffen. Die exzellenten schauspielerischen Leistungen des Ensembles des Deutschen Theaters Berlin tun ihr übriges zu diesem unvergesslichen Theatererlebnis hinzu. Möglich gemacht wurde es durch die Unterstützung des Goethe-Instituts Buenos Aires, der Deutschen Botschaft und des Versicherers Allianz Argentina.

Darsteller: Jörg Pose (Finn Tomason), Judith Hofmann (Linda Tomason, seine Schwester), Markwart Müller-Elmau (Erwin Tomason, Vater der beiden), Daniel Hoevels (Thomas Tomason), Barbara Heynen (Monika Tomason), Bernd Moss (Herr Schmitt, Gerhard), Katrin Klein (Frau Schmitt, Ida), Helmut Mooshammer (Josef Erbarmen), Olivia Gräser (Mira Halbe), Susanne Wolff (Gabi Nowotny), Bernd Stempel (Rainer Machatschek), Heidrun Perdelwitz (Ira Davidoff).

Weitere Informationen, Fotos und Videos zu “Diebe” hier.

Zum Auftakt des FIBA war am ersten Oktoberwochenende Thomas Ostermeiers Inszenierung von “Ein Volksfeind” von Henrik Ibsen, dargeboten von der Schaubühne am Lehniner Platz, gezeigt worden.

Fotos von oben nach unten:
Ida und Gerhard Schmitt – ihre Auftritte gehörten zu den Glanzlichtern des Abends – kurz vor dem Mord an Josef (mit Brille).

Freude und Leid: Emil und Ira treffen sich an der Bushaltestelle (oben), unten hält Linda die Urne mit der Asche ihres Bruders in den Händen.

Zutiefst menschliche Komödie – FIBA-Nachlese

“Interiors” der schottischen Gruppe “Vanishing Point” begeisterte das Publikum

Von Susanne Franz

interiors-3
Ein hell erleuchtetes Fenster, dahinter ein für sieben Personen gedeckter Tisch. Es ist die längste Nacht des Jahres, irgendwo oben im hohen Norden. An diesem Winterabend lädt Peter jedes Jahr seine Freunde und Nachbarn zum Dinner ein. Geschäftigt rennt der alte Mann hin und her und trifft die letzten Vorbereitungen. Auch Ruby, seine Enkeltochter, ist da, obwohl sie mehr an ihrem Spiegelbild interessiert ist und an ihrer Unterwäsche zupft, wenn Peter in der Küche ist. Nach und nach treffen die Gäste ein, alle dick eingepackt und bewaffnet – draußen scheint es gefährlich zu sein. Ann bringt einen Kuchen mit, Paul einen guten Wein, den Peter gleich im Schrank verschwinden lässt. Der Abend nimmt seinen Lauf, man isst, trinkt eine Menge, singt, tanzt, erzählt Witze.

Die Zuschauer sehen das alles – und hören 90 Minuten lang keinen einzigen Ton von den Darstellern. Der Abend wird von einer rätselhaften Person, die sich ebenso wie die Zuschauer draußen vor dem Fenster befindet, erzählt und halb liebevoll, halb sarkastisch kommentiert. Sie berichtet nicht nur, was die Personen tun, sondern weiß auch, was sie denken. Teilweise führt der Gegensatz zwischen dem, was man sieht, und dem Einblick ins Innerste der Personen, zu so komischen Gegensätzen, dass der gesamte Theatersaal vor Lachen erbebt.

“Interiors” der schottischen Gruppe “Vanishing Point”, das am Wochenende des 18., 19. und 20. Oktober in Buenos Aires im Rahmen des 9. Internationalen Theaterfestivals FIBA gezeigt – und gefeiert – wurde, basiert auf “Intérieur” (1895), einem Werk von Maurice Maeterlinck, in dem eine Familie durch ein Fenster beobachtet wird, während der Vater draußen steht und überlegt, wie er ihnen den Tod einer der Töchter mitteilen soll. Regisseur Matthew Lenton begeisterte sich für die Idee und probte mit den Darstellern zunächst einen gesprochenen Text, dann dasselbe ohne Worte. Nach und nach entwickelte das Ensemble das Werk, in dem alle Darsteller unter ihren eigenen Namen auftreten.

Das Ergebnis ist eine umwerfende Komödie, die tiefsinnig und liebevoll die Schwächen der Menschen aufs Korn nimmt. Regisseur Lenton erklärt, dass er mit seiner fast ausschließlich visuellen Arbeit ein junges Publikum ansprechen will, das visuelle Codes sofort versteht, während “die Älteren” aufs Hören fixiert seien. Vielleicht stimmt das – und vielleicht wirkt das “Gesehene” in dem Werk für die Älteren wie eine Vorstellung, etwa die, die man sich als Kind beim Lesen von den Figuren eines spannenden Buches machte, während die Stimme der Geheimnisvollen aus dem Totenreich der Text ist, den man im Kopf hörte.

Ästhetische Erfahrungen im Raum

Meister der Lichtskulptur im Faena Arts Center

Von Philip Norten


Noch bis Anfang November ist im Faena Arts Center in Puerto Madero eine Ausstellung mit Arbeiten von Anthony McCall und Mischa Kuball zu sehen. Dem Kurator Alfons Hug, Direktor de Goethe-Instituts Rio de Janeiro, ist es zu verdanken, dass beide Künstler zum ersten Mal nach Argentinien gekommen sind.

Anthony McCall beeindruckt den Besucher mit einer monumentalen Rauminstallation. Der gesamte obere Saal, komplett abgedunkelt und mit schwarzem Teppich ausgelegt, ist von künstlichem Nebel – bekannt als Diskonebel – ausgefüllt. Dieser wird von Lichtstrahlen, die per Beamer von der Decke auf den Boden projiziert werden, durchschnitten. Durch die Dunkelheit des Raumes und den Nebel entfalten die Lichtstrahlen eine skulpturale Wirkung, die sie wie Lichtzeichnungen im Raum erscheinen lässt. Gesteigert wird diese überwältigende ästhetische Erfahrung noch dadurch, dass sich der Ausstellungsbesucher frei im Raum bewegen kann. Er kann die ‘Lichtskulpturen’ berühren, durchschreiten und wird so selbst Teil von ihnen.

Der britische Künstler Anthony McCall (*1940) beschäftigte sich nach seinem Kunststudium zunächst mit experimentellen Filmarbeiten. Schließlich begann er in den 1970er Jahren, Arbeiten mit Licht- und Filmprojektoren zu entwickeln, die als Grundstein für seine heutigen Projekte gelten.

Die neuen technischen Möglichkeiten (die 16mm Filmprojektoren wurden durch Beamer ausgetauscht) sowie die Räume des Faena Arts Center erlaubten McCall, eine Installation in riesigen Ausmaßen zu konzeptionieren, die eine beeindruckende Monumentalität besitzt.


Im Untergeschoss des Faena Arts Centers ist die Lichtinstallation “space – speech – speed” des Düsseldorfer Künstlers Mischa Kuball (*1959) zu sehen. Auch er beschäftigt sich mit der Auswirkung von Licht auf den Raum und die Wahrnehmung des Besuchers. Mehrere verspiegelte Kugeln – es könnten Diskokugeln sein – werfen Wörter, die zuvor mit Diaprojektoren an die Wände projiziert wurden, in schneller Geschwindigkeit durch den Ausstellungssaal. Die Installation von Kuball unterscheidet sich von McCalls Arbeit vor allem auch durch die Geschwindigkeit der Projektion. Während in der Arbeit des Briten durch ihre große ästhetische Kraft und Ruhe eine kontemplative Stimmung vorherrscht, wird der Betrachter von Kuballs Arbeit irritiert und in seiner Wahrnehmung gestört.

Verbunden werden beide Werke durch den Ausstellungstitel “Aleph” nach der berühmten Erzählung von Borges. Natürlich lassen sich die Lichtskulpturen von McCall und Kuball, die intensiv die Raumwahrnehmung des Betrachters ansprechen, auf das “Aleph” aus Borges’ Erzählung beziehen, bei dem es sich um einen Punkt im Raum handelt, der alle Punkte der Welt in sich enthält. Denn sowohl die Erzählung als auch die Kunstwerke setzen sich mit Themen wie Immaterialität und Unendlichkeit auseinander. Trotzdem bleibt der Bezug auf Borges vage und erscheint etwas gewollt. Starke Kunstwerke, wie sie aktuell im Faena Arts Center zu sehen sind, haben eine Unterstützung von Borges auch gar nicht nötig.

  • “Aleph”, Licht-Installationen von Anthony McCall (Großbritannien) und Mischa Kuball (Deutschland)
  • Kurator: Alfons Hug
  • Faena Arts Center, Aimé Paine 1160, Puerto Madero, Buenos Aires
  • Sa-Mo 12-19 Uhr
  • Eintritt: 40 Pesos, montags gratis, Rentner oder Senioren über 65 und Studenten: 20 Pesos, Kinder unter 12: gratis
  • 21.9.-3.11.

Fotos von oben nach unten:
Beeindruckende Werke von Anthony McCall…

… und Mischa Kuball.