Eine Zukunft mit Büchern

38. Internationale Buchmesse von Buenos Aires vor dem Start

Von Karlotta Bahnsen

Vom 19. April bis 7. Mai findet die Internationale Buchmesse von Buenos Aires (Feria Internacional del Libro de Buenos Aires) statt. Als eine der größten Fach- und Publikumsmessen der Welt zieht das traditionsreiche Kulturereignis seit 1975 hochkarätige Literaten in die “Weltstadt des Buches”.

Dieses Jahr stellt die Organisation “Fundación El Libro” die Messe unter das Motto “Un futuro con libros – Eine Zukunft mit Büchern” und bietet ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Fachtagungen, einem Lesungsmarathon, Workshops, Gesprächen und Preisverleihungen. Nebenbei amüsiert sich die Besucherschar noch beim internationalen Poesiefestival, hört der Crème de la Crème der Erzählkunst zu, erfindet das Theater neu und erkundet in der Zukunftszone (“Zona de Futuro”) – gemäß des aktuellen Themas der Messe – die neuesten Trends der Technik für Leseratten, um hier nur einige Highlights zu nennen.

Das vielversprechend gestaltete Programm sowie international hoch angesehene Gäste wie der rumänischen Schriftsteller Norman Manea, der Israeli David Grossman und die US-Amerikanerin mexikanischer Herkunft Sandra Cisneros kündigen schon jetzt an, dass auch dieses Jahr die Buchmesse im kulturellen Epizentrum Lateinamerikas ein voller Erfolg wird.

Feria Internacional del Libro de Buenos Aires, Messegelände La Rural, Av. Santa Fe 4201, Buenos Aires. Eintrittspreise: Montag bis Donnerstag $ 20, Freitag bis Sonntag und feiertags $ 26. Gratis für unter 12-Jährige in Begleitung eines Erwachsenen sowie werktags für Rentner, Studenten und Lehrer aller Bildungsbereiche (mit Ausweis). Öffnungszeiten: Donnerstag, 19. April, 18 bis 22 Uhr. Sonntags bis donnerstags 14 bis 22 Uhr, freitags und samstags 14 bis 23 Uhr. Sonntag, 29. April, 14 bis 1 Uhr (“La Noche de la Ciudad”).

Weitere Informationen auf der Webseite der Messe.

Foto:
Der israelische Schriftsteller David Grossman, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels 2010, kommt zur Buchmesse nach Buenos Aires.
(Bild: Wikipedia)

Auf den Spuren des Täters – 60 Jahre danach

Gisela Heidenreich recherchierte für ihr neues Buch auch in Argentinien

Von Sebastian Loschert

Wer war Horst Wagner? Hoher SS-Offizier im “Dritten Reich”, ab 1943 Leiter der für “Judenangelegenheiten” zuständigen Gruppe “Inland II” im Auswärtigen Amt, persönlicher Verbindungsmann zwischen Ribbentrop und Himmler, zwischen Auswärtigem Amt und SS. Lange Zeit eine kaum beachtete Schlüsselfigur in der Organisation des Holocaust. Dann aber auch: Der Mann, dem die Mutter von Gisela Heidenreich Nacht für Nacht am Münchner Esstisch lange Liebesbriefe nach Südamerika schrieb. Für den die Mutter in den mageren Nachkriegsjahren das Geld auf die Seite legte und am Essen für die Tochter sparte. Der Mann außerdem, dessen Name auf der geschenkten Schulmappe stand, die die Autorin bis zum Abitur benutzte.

Wie in ihren vorherigen Büchern steht in “Geliebter Täter” die persönliche Betroffenheit von Gisela Heidenreich am Ausgangspunkt ihrer Nachforschungen. Zum dritten Mal spielt ihre Mutter Emmi eine Hauptrolle, zum dritten Mal wagt Heidenreich den Spagat zwischen persönlicher und politischer Aufarbeitung. Wie in “Sieben Jahre Ewigkeit” dienen hunderte Briefe als Zeugnisse der geheim gehaltenen Liebe ihrer Mutter. Diesmal aber will die Tochter den “geliebten Täter” Horst Wagner genauer unter die Lupe nehmen. Wie sah seine Stellung im Auswärtigen Amt aus? Wie konnte er flüchten und trotz Haftbefehl in Südamerika untertauchen? Wieso wurde er nach seiner Rückkehr nie verurteilt?

Diese Fragen sind ihr Reisen nach Frankreich, Italien und Argentinien wert. Wenn sich vor einem italienischen Landgut wieder eine Spur verliert, schreibt sie trotzig: “Ich werde noch einige Türen öffnen, Herr Wagner.”

Und Heidenreich öffnet viele Haustüren, Ordnerdeckel und Aktenschränke, um Horst Wagner kennenzulernen. Ausgiebig wird seine steile Karriere im diplomatischen Dienst in Berlin erforscht. Die gelingt ihm trotz fehlender diplomatischen Ausbildung dank SS- und Parteimitgliedschaften. Detailreich wird die Arbeit Wagners in der Behörde nachgezeichnet: Von der Organisation antijüdischer Propagandaaktionen bis zur Empfehlung an Ribbentrop, die “unverzügliche Ausmerzung aller Juden in den von uns besetzten Gebieten” sei unumgänglich.

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »

Geschichte(n) aus dem Koffer

Gabriel Groszman präsentiert sein neuestes Buch in der Pestalozzi-Schule

Von Mirka Borchardt

Das Auditorium der Pestalozzi-Schule im Buenos Aires-Stadtteil Belgrano ist fast voll. Keine Selbstverständlichkeit bei diesem Thema – um eine steile These zu wagen: In Deutschland wäre der Saal nicht einmal zur Hälfte besetzt. Doch hier in Argentinien ist das Thema von anderer Brisanz: Die Verfolgung von Juden in Deutschland unter der Nazi-Herrschaft, die Flucht ins Exil, das Schicksal der Daheimgebliebenen, darum soll es heute Abend gehen. Viele der Anwesenden, die der Einladung der Asociación Filantrópica Israelita, der Kulturabteilung der Pestalozzi-Schule und des Goethe-Instituts gefolgt sind, könnten eigene Erinnerungen beisteuern, könnten von der eigenen Erfahrung im argentinischen Exil oder der Verfolgung ihrer Eltern im von den Nazis besetzten Europa berichten.

Entsprechend bewegt ist die Atmosphäre im Saal, als aus dem Buch gelesen wird. “Ein Koffer auf dem Dachboden” erzählt von der Geschichte der jüdischen Familie Uffenheimer aus Breisach in Baden. Der Fund eines Koffers voller alter Dokumente auf dem Dachboden eines verstorbenen Familienmitglieds in Argentinien war Anlass für Gabriel Groszman, sich in eine detaillierte Recherche zu stürzen, kaum dass sein erstes Buch “Als Junge in Ungarn überlebt” (2009) erschienen war. Ausführlich berichtet der ältere Herr vorne auf der Bühne vom Entstehungsprozess des Buches, und man kann nur staunen angesichts der Energie und Geistesgegenwart, die er sich trotz der Schicksalsschläge im eigenen Leben offensichtlich bewahrt hat.

In dem Koffer fand Groszman unter anderem den vollständigen Briefwechsel Semi Uffenheimers mit seiner Schwester Flora, die zusammen mit den Eltern in Deutschland geblieben war. Regelmäßig informierte sie Semi über die schrittweise Verschlechterung der Lebenssituation der Familie. Es ist totenstill im Auditorium, als Rudolf Barth, ehemaliger Direktor des Goethe-Instituts Buenos Aires und Übersetzer des ersten Buchs von Groszman, aus diesen Briefen liest. Flora erzählt darin, wie es den Eltern Tag für Tag schlechter geht im Gefangenenlager in Südfrankreich, dass sie kaum zu Essen haben, dass sie jeden Tag ums Überleben kämpfen. Bis eines Tages keine Briefe mehr kommen. Flora ist nach Auschwitz abtransportiert worden, und sie wird nicht mehr zurückkommen.

Befreiender wirken da die Passagen, die die Verlegerin Graciela Komerovsky vorliest. Auch im Schrecken gab es noch einen Alltag, zeigen diese: Er solle doch endlich heiraten, rät Flora ihrem Bruder, und anscheinend nimmt er sich den Auftrag zu Herzen: In einer Kontaktanzeige im Argentinischen Tageblatt sucht ein “Junggeselle, jüdisch, mittelgroß, selbständig”, die “Bekanntschaft eines patenten netten Mädchens bis 32 Jahre, zwecks späterer Heirat”. Gefruchtet haben sie leider nicht.

Tomás Abraham, selbst Kind rumänisch-jüdischer Flüchtlinge, Literat und Philosoph, übernimmt schließlich den theoretischen Part des Abends. Über die Erfahrung der Exilierten in Argentinien redet er, über den Prozess der Identitätsbildung und über den Begriff “Überlebender”, den er ablehnt. Nicht um diesen Begriff zu verstärken, nicht um die Immigranten als Opfer zu stilisieren, müssen ihre Geschichten immer wieder erzählt werden, sagt er, sondern um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Vielleicht können Veranstaltungen wie diese dabei helfen.

Foto:
Der Autor weiß, wovon er schreibt: Auch er kam als jüdischer Flüchtling nach Argentinien.

Neues Buch von Gabriel Groszman

Vorstellung von “Ein Koffer auf dem Dachboden” in der Pestalozzi-Schule

Von Mirka Borchardt

Am Mittwoch, dem 21. März, wird der jüdisch-ungarische Schriftsteller Gabriel Groszman in der Pestalozzi-Schule sein neuestes Buch vorstellen. Nach dem autobiographischen Roman “Als Junge in Ungarn überlebt”, erzählt “Ein Koffer auf dem Dachboden” eine jüdisch-deutsche Geschichte über Diskriminierung, Emanzipation und Untergang. Gabriel Groszman wurde 1930 in Ungarn geboren und kam 1952 nach Argentinien. Mittlerweile lebt der studierte Historiker in den USA.

Im Anschluss an die Lesung wird der Autor eine Autogrammstunde geben. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Bücher werden für wohltätige Zwecke gespendet. Es laden folgende Institutionen ein: Asociación Filantrópica Israelita, die Pestalozzi-Schule und das Goethe-Institut.

Gabriel Groszman: “Una valija en el ático” (Memoria y Trascendencia Ediciones, 2012). Mittwoch, 21. März, um 19.00 Uhr im Auditorium der Pestalozzi-Schule in Buenos Aires (Ramón Freire 1882). Eintritt frei.

Ein Abend zum Träumen

Doppelprogramm beim Zyklus “Poesie und Musik”

Von Theresia Sprinzl

Diesen Donnerstagabend hatte man doppelten Grund, in das Amphitheater im Parque Centenario in Buenos Aires zu gehen. Denn diesmal wurden zwei Poeten und zwei musikalische Darbietungen von der Stadt Buenos im Rahmen ihres Sommerprogramms “Verano en la Ciudad” angeboten.

Der Schriftsteller Leopoldo Brizuela und die Sängerin Rosario Blefari haben sich zusammengetan, um Musik und Poesie zu verbinden. Leopoldo Brizuela wurde 1963 im argentinischen La Plata geboren. Er ist Autor mehrerer preisgekrönter Romane und Erzählbände, 1999 wurde er für seinen Roman “Inglaterre” mit dem argentinischen Literaturpreis Premio Clarín ausgezeichnet. 2010 ist sein Roman “Lisboa, un melodrama” erschienen, der auch ins Deutsche übersetzt wurde. Leopoldo Brizuela zählt zu den heute literarisch interessantesten Autoren aufgrund seiner gepflegten und vielseitigen Sprache.

Am Donnerstagabend trug er einige seiner Gedichte vor, deren Metrik er mit einer Trommel untermalte. Rosario Blefari sang, begleitet von einem Gitarristen, aber unabhängig von Brizuela mit einer klaren, warmen Stimme Alternativ-Rock. Sie selbst spielte bei einigen Liedern Xylophon und Mundhamonika.

Anschließend kamen der Autor Pedro Mairal und der Sänger Coiffeur auf die Bühne. Auch Mairal ist Träger des Clarín-Literaturpreises für seine Bücher, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Auf Deutsch wurde zuletzt der Roman “Eine Nacht mit Sabrina Love” (2002) veröffentlicht, der auch verfilmt wurde. Im August vergangenen Jahres erschien der Roman “Das fehlende Jahr des Juan Salvatierra” im Hanser Verlag. Der 1970 in Buenos Aires geborene Pedro Mairal bekam von der Presse in den vergangenen Monaten sehr viel Aufmerksamkeit, da er einige seiner Roman-Charaktere online entwirft und sie in sozialen Netzwerken testet. Er gilt derzeit als einer der originellsten Schriftsteller der lateinamerikanischen Literatur. Auch er trug Gedichte vor, die leider nicht von Coiffeur begleitet wurden.

Coiffeur spielte ausgezeichnet und mit sehr viel Gefühl und Intensität auf seiner Akustik-Gitarre eine Mischung aus Indie-Pop und Rock.

Dieser Abend unter freiem Himmel war wunderschön zum Träumen, Entspannen und Genießen. Leider war es auch schon der letzte in der Reihe “Poesía y Música“ im Park – zumindest für diesen Sommer.

Fotos von oben nach unten:

Leopoldo Brizuela.

Pedro Mairal.

Poesie und Indie-Pop

Fabián Casas und die Indie-Pop-Band 107 Faunos

Von Theresia Sprinzl

Auch diesen Donnerstagabend wurde zum zweiten Mal kostenlos von der Stadt Buenos Aires im Rahmen ihres Sommerprogramms “Verano en la Ciudad” eine Veranstaltung unter dem Motto “Musik und Poesie” im Parque Centenario angeboten. Diesmal traten der Autor Fabián Casas und die Band 107 Faunos zusammen auf, um Musik und Poesie zu vereinen.

Fabián Casas wurde 1965 in Buenos Aires geboren und ist einer der bedeutendsten Vertreter der jüngeren argentinischen Literatur. Casas’ Gedichte sind in einem einfachen, lakonischen Stil verfasst, der Wendungen und Rhythmus der Straßensprache von Buenos Aires aufgreift. 107 Faunos ist eine Indie-Pop Band, die seit 2006 besteht und aus La Plata stammt.

Beide “Parteien” hatten eine ganze Menge Fans angezogen, so dass das Amphitheater fast voll besetzt war und eine Bombenstimmung herrschte.

Zu Beginn trug Fabián Casas einer seiner schönen Gedichte vor, die von alltäglichen Situationen in Buenos Aires handeln. Die Band 107 Faunos improvisierte zu seinen Worten, blieb dabei aber eher im Hintergrund. Danach verschwand Casas so gut wie von der Bildfläche. Zweimal kam er noch auf die Bühne, um mit der Band einen Song zu performen. Es war schade, insgesamt nur so wenig von Casas’ Gedichten zu hören, so dass der Abend eher einem Popkonzert glich. Aber das war nicht weiter schlimm, denn die 107 Faunos überzeugten auch ohne Casas vollkommen.

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »

Poesie und Musik unterm Sternenhimmel

Fernando Noy und Polsick im Rahmen von “Verano en la Ciudad”

Von Theresia Sprinzl

Der Sommer in Buenos Aires ist ruhig. Die meisten Porteños sind im Urlaub, sie flüchten vor der unerträglichen Hitze, die in der Stadt herrscht. Kulturell ist nicht so viel los wie in den anderen Jahreszeiten. Doch es gibt trotzdem eine Menge zu entdecken. So bietet etwa die Stadt Buenos Aires diesen Sommer unter dem Slogan “Verano en la Ciudad” jede Menge Veranstaltungen an, alle kostenlos. Also fuhr ich trotz unglaublicher Hitze am Donnerstagabend ins Amphitheater des Parque Centenario, um dem Spektakel von Fernando Noy und Polsick zu lauschen.

Auf der großen Bühne war nicht viel zu sehen, außer einer Leinwand, dem DJ-Pult von Polsick und dem Mikrophon und Stuhl von Noy. Mit dröhnendem Bass und 4/4 Takt gab Polsick, der an der Universität Tres de Febrero in Buenos Aires “Artes Electrónicas” studiert hat, den Auftakt. Die elektronische Musik passte zu den Bildern, die auf der Leinwand zu sehen waren. Kristallförmige Gestalten, die ineinander verschmelzen, um ein neues Bild zu ergeben. Ich ertappe mich dabei, wie ich mit dem Kopf zur Musik mitgehe und das Verlangen habe, zu tanzen. Aber dieses Gefühl ist so schnell wie es gekommen ist, auch wieder verschwunden, denn Fernando Noy kommt nach kurzer Zeit auf die Bühne gestürmt und zieht die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf sich.

In einem Kaftan-ähnlichen Kostüm beginnt der Schauspieler und Poet mit ausladenden Gesten ein Gedicht vorzutragen, welches von Polsick begleitet wird. Mit elektronischen Klängen, E-Gitarre und Klavier untermalt er das Gesprochene. Der 61-jährige Noy scheint in einer anderen Welt zu sein. Er wirkt wie besessen von seinem eigenen Werk. Ab und zu werden seine Worte von einer jungen Frau mit Gegenständen veranschaulicht. An einer Stelle des Vortrags singt sie unglaublich schön mit einer hervorragenden Sopran-Stimme zu den Worten Fernando Noys.

Hauptsächlich über die Liebe philosophiert der in San Antonio Oeste geborene Künstler. Nicht über eine bestimmte Person oder eine bestimmte Liebesgeschichte, sondern allgemein mit vielen Metaphern über das Thema Liebe. Leider dauert das Zusammenspiel von elektronischer Musik und Poesie weniger als eine Stunde, man hätte Lust gehabt, noch viel länger den hypnotischen Worten Noys und den Klängen Polsicks zu lauschen.

Eine sehr persönliche Reise

Click aquí para leer la versión en castellano.

Alan Pauls über seinen Aufenthalt in Berlin im Rahmen des “Rayuela”-Projekts

Von Jürgen Ramspeck

Himmel oder Hölle? Im Rahmen des Projekts “Rayuela” lebten fünf deutschsprachige Autoren im Herbst 2010 für knapp vier Wochen in Argentinien, während fünf Argentinier nach Deutschland kamen. In den Tagebüchern der Schriftsteller steht teils Banales, wie erste Erfahrungen in Supermärkten, aber auch Gedanken zu Gesellschaft und Leidenschaften. Die wohl persönlichste Reise unternahm der Argentinier Alan Pauls. Er besuchte im September und Oktober Berlin – die Stadt, die sein Vater im Alter von sechs Jahren im Jahre 1939 Richtung Argentinien verließ. Während eines Spaziergangs über den St. Matthäus-Friedhof, ein bürgerlicher Friedhof des 19. Jahrhunderts, schreibt er in sein Tagebuch: “(…) es [ist] das erste Mal, dass es mich ernsthaft, körperlich reut, meinen Vater eingeäschert zu haben: nicht die Möglichkeit zu haben, ein eigenes Ritual zu erfinden, ein Zwiegespräch mit dem, was von ihm geblieben wäre.” In einem Interview spricht der 51-Jährige über diese Zeitreise in die eigene Vergangenheit.

JR: Alan Pauls, was haben Sie als erstes gefühlt, als Sie in Berlin angekommen sind?

Pauls: Eine große Vertrautheit. Ich kannte Berlin kaum, ich war vor einem Jahr nur zwei Tage dort gewesen. Schon da hat mich die Stadt sehr beeindruckt, deswegen hatte ich mich entschlossen für längere Zeit zurückzukommen. Ich fand eine Stadt vor, die mir einerseits total unbekannt war. Aber andererseits fühlte ich ein gewisses Wohlbefinden, mich komplett frei bewegen zu können. Das war seltsam für eine mir eigentlich unbekannte Stadt. Sonst fühlt man als Reisender immer einen gewissen Druck, aber in Berlin war das nicht so. Ich war meistens mit dem Fahrrad unterwegs. Es war, als hätte ein Teil dieser Stadt schon immer in mir gelebt, noch bevor ich das erste Mal die Füße auf Berliner Boden gesetzt habe.

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »