Las biografías como filtro

Klicken Sie hier, um die deutsche Version zu lesen.

“wir/nosotros/vi” – performance de Hermann Heisig, Marina Quesada y Anne Zacho Søgaard

wir11“wir/nosotros/vi” se estrenó el 17 de octubre de 2013 en la sala Sophiensaele de Berlín y se presentó después en el CaféTeatret CT de Copenhague. Su última parada es Buenos Aires, donde se estrenara el 23 de noviembre a las 23 horas. Siguientes funciones: 29 y 30 de noviembre a las 21 horas y 1° de diciembre a las 19 horas, en el Teatro El Extranjero (Valentín Gómez 3378, Tel: 4862-7400).

“¿Cuál es el potencial representativo de nuestros cuerpos? ¿Qué es lo que verdaderamente queremos o podemos representar? ¿De qué modo nuestra vida personal es representativa del contexto cultural, social, político en el que nos hemos movido hasta ahora?”. Tomando como base el propio material autobiográfico, este trabajo investiga los bordes, pliegues y diferencias entre la representación personal, social, artística y política en Alemania, Argentina y Dinamarca. En “wir/nosotros/vi” las biografías se vuelven un filtro a través del cual se hacen visibles los distintos géneros teatrales, identidades culturales, las costumbres de consumo que influyen en el transcurso de la vida, en las elecciones, en la mirada artística.

“wir/nosotros/vi” es una producción de Hermann Heisig, Marina Quesada y Anne Zacho Søgaard, en coproducción con la sala SOPHIENSÆLE y CT Copenhague. Se realizó con fondos del Senado de Berlín, el Instituto Prodanza y el Danske Sceneinstruktører, y cuenta con el apoyo de “IUNA – Movimiento”, el Goethe-Institut, wiesen55 E.V., las Embajadas Argentinas en Alemania y Dinamarca, la Embajada de Dinamarca en Argentina y “El Extranjero Teatro”.

  • Dirección, autoría y perfomance: Hermann Heisig, Marina Quesada, Anne Zacho Søgaard
  • Dramaturgista: Anna K. Becker
  • Diseño de iluminación: Sandra Blatterer
  • Iluminación en Buenos Aires: Adrian Grimozzi
  • Prensa: Irupé Tentorio
  • Producción: Susanne Ogan, Mónica Grasselli
  • Fotos: Laura Deschner
  • Diseño Gráfico: Isa Crosta

Neues Programm des “Ballet Contemporáneo del Teatro San Martín”

Zwei Choreografien von Mauricio Wainrot im Martín Coronado-Saal

Von Susanne Franz

ballett
Vom 16. November bis zum 13. Dezember wird im Martín Coronado-Saal des Teatro San Martín (Av. Corrientes 1530) das III. Programm des Jahres des Tanzensembles “Ballet Contemporáneo del Teatro San Martín” (Zeitgenössisches Ballett des San Martín-Theaters) gezeigt. Es besteht aus der Uraufführung von “La canción de la tierra” und der Wiederaufnahme von “Desde lejos”, beides Choreografien des Ballett-Leiters Mauricio Wainrot.

Die Gesamtlänge der Veranstaltung beträgt 100 Minuten, darin sind 10 Minuten Pause enthalten. Vorführungen sind donnerstags um 14.30 Uhr, freitags und samstags um 20.30 Uhr sowie sonntags um 19 Uhr. Der Eintritt kostet 90 bzw. 70 Pesos, die Matinee donnerstags 30 Pesos.

Die Choreografie “Desde lejos” (From far away) entstand in Mauricio Wainrots Kopf, als er dem Komponisten Wim Mertens bei einer Probe am Klavier im Grand Place in Brüssel zuhörte. “Seine Musik hat mich inspiriert, ein Werk zu schaffen, in dem Widerklänge aus der Vergangenheit zum Ausdruck kommen, von einem Punkt, an dem alles anfing und alles enden wird.”

“Desde lejos” wurde 1992 vom “Ballet Real de Wallonie” in Belgien uraufgeführt und danach vom Florida Ballet und dem Richmond Ballet (USA) sowie der “Bat Dor Dance Company” (Israel) getanzt. In Argentinien wurde das Stück 1998 von Julio Bocca und seinem “Ballet Argentino” im Luna Park uraufgeführt und später auf internationalen Tourneen vorgestellt. Im Jahr 2009 wurde es erstmals von Wainrots Ensemble, dem “Ballet Contemporáneo”, aufgeführt.

  • “Desde lejos”
  • Choreografie: Mauricio Wainrot
  • Musik: Wim Mertens
  • Bühne und Kostüme: Carlos Gallardo
  • Licht: José Luis Fiorruccio
  • Länge: 30 Minuten

Über “La canción de la tierra” sagt Wainrot: “Gustav Mahler komponierte “Das Lied von der Erde” (La canción de la tierra) in einem schwierigen Moment seines Lebens: seine älteste Tochter war an Diphterie gestorben und bei ihm wurde eine Herzkrankheit festgestellt, die zu seinem Tod führen sollte. So verwundert es nicht, dass in der Komposition ein fatalistischer Grundton mitschwingt und sie zwischen Trostlosigkeit und dem Akzeptieren des Schicksals, Hilflosigkeit angesichts des Unabwendbaren und Schmerz oszilliert.

Es gibt solche Momente im Leben einzigartiger Menschen, in denen sie sich in sich selbst zurückziehen und ein Werk erschaffen, um sich vor dem Abgrund zu retten. Das ist auch beim “Lied von der Erde” des großen Gustav Mahler der Fall. Das in sechs Gesänge unterteilte Meisterwerk basiert auf Gedichten von Li Tai Po, Wang Wei und Mon Kao Yen und eigenen Texten Mahlers, und alle laufen auf das grandiose halbstündige “Abschied” (El Adiós) zu, mit dem Mahler sich von der Welt zu verabschieden scheint, und mit dem er uns eine der lyrischsten Sternstunden der Musikgeschichte geschenkt hat.”

Wainrot hatte das Werk bereits 2008 gemeinsam mit dem Künstler und Bühnenbildner Carlos Gallardo, seinem Lebenspartner, angedacht. Nach Gallardos tragischem Unfalltod im selben Jahr blieb der Plan zunächst unvollendet. Seit 2008 sind weitere vier für Wainrot wichtige Menschen gestorben, darunter seine Mutter. “Ich bin nicht mehr derselbe Mensch, der ich noch vor fünf Jahren war”, schreibt der Choreograf jetzt. “Ich bin ein um einiges düsterer Mensch geworden, den, wie Mahler, das kreative Schaffen gerettet hat. (…) “La canción de la tierra” ist das Ergebnis von all dem, was ich seitdem erlebt, erlitten und ersehnt habe, und es ist meine Hommage an meine geliebten Verstorbenen.”

  • “La canción de la tierra”
  • Choreografie: Mauricio Wainrot
  • Musik: Gustav Mahler (Das Lied von der Erde)
  • Bühne und Kostüme: Graciela Galán
  • Video: Studio Silvia Rivas
  • Licht: Jorge Pastorino
  • Videoinstallation: Marcelo Manente und Pablo Yurrebaso
  • Länge: 60 Minuten

Weitere Informationen auf der Webseite des San Martín-Theaters.

“Operation am offenen Herzen”

Auch die Spielzeit 2014 des San Martín-Theaters findet inmitten von Umbauarbeiten statt

Von Susanne Franz

san_martin
“Im Mai 2015 sind wir fertig!” Solchermaßen klare Worte ist man von einem Politiker gar nicht gewöhnt. Daniel Chain, Bauminister der Stadt Buenos Aires, sprach sie aus und bezog sich dabei auf das Ende der umfangreichen Restaurierungsarbeiten im und am Complejo Teatral de Buenos Aires (CTBA), der neben den Sälen des San Martín Theaters auch das Teatro Alvear sowie die Barrio-Theater “Regio”, “De la Ribera” und “Sarmiento” umfasst. Am Mittwochmittag umriss Chain vor zahlreichen Journalisten und vielen Künstlern des CTBA im Rahmen der Pressekonferenz zur Ankündigung der Spielzeit 2014 anschaulich die Situation, in der die CTBA-Theater sich seit mehr als einem Jahr befinden: “Das ist, wie wenn man die Maler im Haus hat”, sagte der Politiker. “Es fordert allen eine Menge ab, angefangen bei den Künstlern, die proben wollen, über die Theaterleiter, die das Programm planen, bis zu den Zuschauern, die mit Unbequemlichkeiten konfrontiert sind.” Es könne weiterhin vorkommen, dass es mal kein Wasser gebe oder dass der Strom ausfalle. “Umbauarbeiten bei laufendem Theaterbetrieb, das ist wie eine Operation am offenen Herzen”, so Chain. “Aber wir wollten die Theater auf keinen Fall schließen.”

202 Millionen Pesos sind für 2014/2015 vorgesehen, um alle Räumlichkeiten des San Martín wieder zugänglich zu machen und in einen perfekten Zustand zu versetzen, um das Alvear besser gegen Feuer abzusichern, endlich Proberäume für das Tanzensemble des Theaters einzurichten, den Kostüm-Schatz adäquat unterzubringen, neue Sound- und Beleuchtungssysteme in den Theatersälen zu installieren, die Toiletten zu erneuern, die Theater behindertengerechter zu gestalten und vieles mehr.

Kulturminister Hernán Lombardi stellte klar, dass der dreistellige Millionenbetrag für die Restaurierungsarbeiten zusätzlich zur normalen Förderung der Stadt Buenos Aires für das Theater gezahlt werde, die im kommenden Jahr etwa 20 % über der von 2013 liegen soll. Jenseits von Finanz- und Verwaltungsfragen freute sich Lombardi vor allem über die Highlights der kommenden Theatersaison. “Wir sind sehr zufrieden und stolz darauf, eine der interessantesten Spielzeiten der letzten Jahre vorzustellen!”, sagte Lombardi. “Und ich will nicht etwa angeben.”

Nach einem kurzen Einführungsvideo gab dann Theaterdirektor Alberto Ligaluppi einige Einblicke in das, was Theaterfreunde im kommenden Jahr erwartet. Das “Globe Theatre” komme diesmal mit einem eher unbekannten Stück, scherzte Ligaluppi bei der Ankündigung des “Hamlet” einer Gruppe, die wie keine zweite für ihre Shakespeare-Inszenierungen bekannt sei. Die thailändische Gruppe “18monkeysdancetheatre” bediene sich zwar der landestypischen Masken, tanze aber ausschließlich zu Piazzolla. “Wir wollen ab sofort jedes Jahr eine Gruppe nach Argentinien holen, die in ihrem Heimatland mit Aspekten der argentinischen Kultur arbeitet”, führte Ligaluppi aus.

Die Ausstellung “Presencia española en la historia del San Martín” beleuchte umgekehrt die Einflüsse anderer Kulturen auf die Geschichte des argentinischen Traditionstheaters.

Besonderen Applaus in dieser ohnehin außergewöhnlich bejubelten Pressekonferenz bekam Ligaluppis Ankündigung, dass der CTBA sich im Jahr 2014 erstmals an der Reihe “Teatro x la Identitad” beteiligen werde. “Das ist wohl das Wichtigste, was wir mit dem Theater erreichen können – eine Auseinandersetzung mit unserer Identitä!”, rief der Direktor.

Lacher gab es bei der Frage einer Besucherin, ob man etwas davon wüsste, dass das Teatro Colón auf seiner kürzlichen Pressekonferenz angekündigt habe, beim Programm für die Schulferien mit dem Teatro San Martín zusammenarbeiten zu wollen. “Ja, haben wir gehört”, meinten Ligaluppi und Lombardi übereinstimmend. Allerdings sei vorläufig geplant, in den Ferien in allen Ecken des Theaterkomplexes Puppenspiele aufzuführen.

Zum Abschluss gab es einen besonderen Leckerbissen: Aus einem wahren Schatz an Tonbandaufnahmen berühmter Künstler, der kürzlich gefunden wurde und jetzt digitalisiert werden soll, wurde den Besuchern eine Aufnahme von Mercedes Sosa aus dem Jahr 1973 vorgespielt.

(Foto)
Pressekonferenz zur Ankündigung der Spielzeit 2014 (v.l.n.r.): Daniel Chain, Hernán Lombardi, Alberto Ligaluppi.
(Foto: Carlos Flynn)

Die CTBA-Spielzeit 2014 (Auszüge):

Lesen Sie weiter / Seguir leyendo »

Tieftraurig und absurd – FIBA-Nachlese

“Diebe” von Dea Loher in genialer Inszenierung von Andreas Kriegenburg

Von Susanne Franz

diebe_9180
Die Bühne des Martín-Coronado-Saals des San Martín-Theaters hat sich in eine riesige Kiste verwandelt, in der sich ein gigantisches Schaufelrad dreht. In der oberen Hälfte des Raums taucht eine zweite Bühne auf – sie scheint an seitlichen Drehvorrichtungen zu hängen -, die erst parallel zur unten liegenden Bühne verläuft und dann langsam ein wenig nach vorne kippt. Sichtbar wird ein auf dem Boden liegender Mann, der ein bisschen zappelt, weil er nach unten rutscht. Er trägt Pantoffeln und einen Bademantel und düsterste Selbstmordgedanken in sich. Der Mann ist einer von verschiedenen Charakteren, von denen die deutsche Theaterautorin Dea Loher in ihrem Stück “Diebe” erzählt, das am vergangenen Wochenende das 9. Internationale Theaterfestival von Buenos Aires (FIBA) abschloss.

Wer der Mann ist, erfährt der Zuschauer erst in der zweiten Hälfte des drei Stunden und zwanzig Minuten dauernden Werks, als alle Handlungsstränge zusammen- und wieder auseinanderlaufen. Die Geschichten werden in verschiedenen Episoden erzählt, und immer ist es das große Mühlrad, das sich dreht und ein neues Kapitel gleichsam “ausspuckt”.

Das Rad dreht sich langsam, aber unerbittlich, und schiebt die eben noch agierenden Personen und ihre Geschichten erbarmunglos nach hinten weg, um wieder ein neues Kapitel aufzuschlagen. Der Boden wird zur Wand und wieder zu einem neuen Boden.

Der ständig sich wandelnde Hinter- und Untergrund vermittelt ein Schwindelgefühl und ist zugleich hypnotisch. Es ist keine Zeit, dort Bleibendes aufzubauen, so werden kaum Requisiten eingesetzt, sondern deren Namen an die Wand geschrieben, auch Orte (Polizeirevier) oder Konzepte (Familie, falsch buchstabiert) werden kurz durch ein Wort skizziert. “Sachen” wie Fenster oder Möbel sind zum Teil durch zweidimensionale Abbildungen ersetzt, die schnell an die Wand geheftet werden, ehe das Bild sich weiterdreht.

Weitere Drehmomente im Werk sind Schaukeln, die die Akteure an Seilen an den ausgestellten Rand des Drehbodens hängen und auf denen sie sich wiegen, und viele Tanzszenen im Werk, die meisten von ihnen auf eine abgrundtief traurige Art komisch.

Andreas Kriegenburgs geniale Bühne und seine auf exaktem Timing beruhende Regiearbeit mit den Schauspielern ist eine Übersetzung des monologartigen Dramas von Dea Loher, das an die Grenzen des Aufführbaren geht.

Lohers poetischer Text mit seinen vielen Wiederholungen – in einem an die Aufführung anschließenden Gespräch mit dem Publikum nannte die in Buenos Aires anwesende Dramatikerin sie “Echo-Räume” – ist in Reinform wie ein Sog, die Inszenierung Kriegenburgs macht ihn verständlich und erträglich.

diebe_2388
Der Selbstmörder wird nie nach unten auf die “wirkliche” Bühne gelangen. Einmal ist er kurz davor, der Boden senkt sich nach vorn – er macht einige unbeholfene Steptanzschritte auf dem Rand. Doch dann dreht sich das Rad wieder nach oben. Für ihn gibt es kein Weitermachen. Der Selbstmord wird dadurch symbolisiert, dass er einen Karton (mit seinen letzten Habseligkeiten) nach unten wirft.

Das Ehepaar Ida und Gerhard Schmitt begeht einen Mord, der mit einem Tanz beginnt. Der Polizist Thomas schießt seiner von ihm getrennten Frau Barbara in den Kopf. Die merkt erst, dass etwas nicht stimmt, als sie in einer Boutique rasende Kopfschmerzen bekommt und ihr schlecht wird. Die junge Mira will ihr Baby abtreiben, weil sie ihren eigenen Vater nicht kennt. Ihr Freund Josef wird bei dem Versuch, diesen zu finden, erschlagen. Rainer “Tschecki” Machatschek will seine Freundin Gabi erdrosseln, weil sie die 3000 Euro zurück will, die sie ihm geliehen hatte. Ira Davidoff sucht ihren Mann, er wollte doch nur mal spazieren gehen. Das ist 43 Jahre her, und plötzlich vermisst sie ihn. Emil will seinen Sohn Finn noch einmal sehen, der ihn seit drei Jahren nicht besucht hat, und Linda, seine Tochter, traut sich nicht, ihm zu sagen, dass Finn sich umgebracht hat.

Es sind tieftraurige und absurde Geschichten von Menschen, die wie Roboter agieren, die wie “Diebe” in ihrem eigenen Leben herumtappen und sich nicht trauen, im eigenen Haus Licht zu machen. So beschreibt es Ira Davidoff, laut Loher die zentrale Figur des Stückes, obwohl sie nur kurze Auftritte hat.

Der wertvolle Text Dea Lohers wird von der genialen Inszenierung Andreas Kriegenburgs – der auch in Buenos Aires war und das Publikum mit seiner offenen, großzügigen Denkweise bezauberte – getragen und übertroffen. Die exzellenten schauspielerischen Leistungen des Ensembles des Deutschen Theaters Berlin tun ihr übriges zu diesem unvergesslichen Theatererlebnis hinzu. Möglich gemacht wurde es durch die Unterstützung des Goethe-Instituts Buenos Aires, der Deutschen Botschaft und des Versicherers Allianz Argentina.

Darsteller: Jörg Pose (Finn Tomason), Judith Hofmann (Linda Tomason, seine Schwester), Markwart Müller-Elmau (Erwin Tomason, Vater der beiden), Daniel Hoevels (Thomas Tomason), Barbara Heynen (Monika Tomason), Bernd Moss (Herr Schmitt, Gerhard), Katrin Klein (Frau Schmitt, Ida), Helmut Mooshammer (Josef Erbarmen), Olivia Gräser (Mira Halbe), Susanne Wolff (Gabi Nowotny), Bernd Stempel (Rainer Machatschek), Heidrun Perdelwitz (Ira Davidoff).

Weitere Informationen, Fotos und Videos zu “Diebe” hier.

Zum Auftakt des FIBA war am ersten Oktoberwochenende Thomas Ostermeiers Inszenierung von “Ein Volksfeind” von Henrik Ibsen, dargeboten von der Schaubühne am Lehniner Platz, gezeigt worden.

Fotos von oben nach unten:
Ida und Gerhard Schmitt – ihre Auftritte gehörten zu den Glanzlichtern des Abends – kurz vor dem Mord an Josef (mit Brille).

Freude und Leid: Emil und Ira treffen sich an der Bushaltestelle (oben), unten hält Linda die Urne mit der Asche ihres Bruders in den Händen.

Zutiefst menschliche Komödie – FIBA-Nachlese

“Interiors” der schottischen Gruppe “Vanishing Point” begeisterte das Publikum

Von Susanne Franz

interiors-3
Ein hell erleuchtetes Fenster, dahinter ein für sieben Personen gedeckter Tisch. Es ist die längste Nacht des Jahres, irgendwo oben im hohen Norden. An diesem Winterabend lädt Peter jedes Jahr seine Freunde und Nachbarn zum Dinner ein. Geschäftigt rennt der alte Mann hin und her und trifft die letzten Vorbereitungen. Auch Ruby, seine Enkeltochter, ist da, obwohl sie mehr an ihrem Spiegelbild interessiert ist und an ihrer Unterwäsche zupft, wenn Peter in der Küche ist. Nach und nach treffen die Gäste ein, alle dick eingepackt und bewaffnet – draußen scheint es gefährlich zu sein. Ann bringt einen Kuchen mit, Paul einen guten Wein, den Peter gleich im Schrank verschwinden lässt. Der Abend nimmt seinen Lauf, man isst, trinkt eine Menge, singt, tanzt, erzählt Witze.

Die Zuschauer sehen das alles – und hören 90 Minuten lang keinen einzigen Ton von den Darstellern. Der Abend wird von einer rätselhaften Person, die sich ebenso wie die Zuschauer draußen vor dem Fenster befindet, erzählt und halb liebevoll, halb sarkastisch kommentiert. Sie berichtet nicht nur, was die Personen tun, sondern weiß auch, was sie denken. Teilweise führt der Gegensatz zwischen dem, was man sieht, und dem Einblick ins Innerste der Personen, zu so komischen Gegensätzen, dass der gesamte Theatersaal vor Lachen erbebt.

“Interiors” der schottischen Gruppe “Vanishing Point”, das am Wochenende des 18., 19. und 20. Oktober in Buenos Aires im Rahmen des 9. Internationalen Theaterfestivals FIBA gezeigt – und gefeiert – wurde, basiert auf “Intérieur” (1895), einem Werk von Maurice Maeterlinck, in dem eine Familie durch ein Fenster beobachtet wird, während der Vater draußen steht und überlegt, wie er ihnen den Tod einer der Töchter mitteilen soll. Regisseur Matthew Lenton begeisterte sich für die Idee und probte mit den Darstellern zunächst einen gesprochenen Text, dann dasselbe ohne Worte. Nach und nach entwickelte das Ensemble das Werk, in dem alle Darsteller unter ihren eigenen Namen auftreten.

Das Ergebnis ist eine umwerfende Komödie, die tiefsinnig und liebevoll die Schwächen der Menschen aufs Korn nimmt. Regisseur Lenton erklärt, dass er mit seiner fast ausschließlich visuellen Arbeit ein junges Publikum ansprechen will, das visuelle Codes sofort versteht, während “die Älteren” aufs Hören fixiert seien. Vielleicht stimmt das – und vielleicht wirkt das “Gesehene” in dem Werk für die Älteren wie eine Vorstellung, etwa die, die man sich als Kind beim Lesen von den Figuren eines spannenden Buches machte, während die Stimme der Geheimnisvollen aus dem Totenreich der Text ist, den man im Kopf hörte.

Ein Experiment der besonderen Art

Ostermeiers “Ein Volksfeind” rockt Buenos Aires

Von Susanne Franz


“Der Riachuelo ist vergiftet!” – “Die Stadt Buenos Aires tut nichts für die Kultur!” – “Wir brauchen endlich ein vernünftiges Mediengesetz!” – “Ach hören Sie doch auf, mir das Stück erklären zu wollen!” Im großen Martín Coronado-Saal des San Martín-Theaters, der bis auf den letzten Platz ausverkauft war, war am letzten Sonntag die Hölle los. Der Volkszorn brach aus allen Poren, man schrie sich gegenseitig nieder, die Situation drohte aus dem Ruder zu laufen. Aggressionsbereitschaft lag in der Luft. Was war da los? Eine Bürgerversammlung? Nein, es war die erste Vorstellung (von dreien) von Thomas Ostermeiers Inszenierung von “Ein Volksfeind” von Henrik Ibsen, dargeboten von der Schaubühne am Lehniner Platz, im Rahmen des IX. Internationalen Theaterfestivals von Buenos Aires. Das Luxus-Ensemble aus Deutschland konnte dank der Unterstützung des Goethe-Instituts Buenos Aires, der Deutschen Botschaft und Allianz Argentina an den Río de la Plata kommen.

In dem Stück entdeckt der junge Arzt Thomas Stockmann, dass das Heilwasser seines Heimatortes verseucht ist, und er will dringend Abhilfe schaffen. Sein Bruder, der Stadtrat Peter Stockmann, will den Skandal unter den Teppich kehren, denn der ganze Ort lebt von den Kurgästen, Sanierungsarbeiten wären langwierig und der Ruin der Stadt. Die Presse und Vertreter der Bürgerschaft, die anfangs auf Thomas’ Seite waren, laufen nach und nach zu Peter über.

Ist Thomas in seinem Kampf gegen Korruption ein Idealist oder ein Fanatiker? Als er ganz alleine dasteht, richtet er eine flammende Rede ans Publikum. Hier geht die Ostermeier-Adaption über Ibsen hinaus und verwendet Auszüge aus dem 2008 veröffentlichten Manifest “Der kommende Aufstand”. In der Streitschrift verdammt das anonyme französische Autorenkollektiv “Unsichtbares Komitee” die Diktatur der Angepassten, die Konsumgesellschaft und die Politiker.

Die anderen Schauspieler hören vom erleuchteten Zuschauerraum aus zu, die Grenze zwischen Bühne und Publikum ist aufgehoben. Und dann sagt einer von ihnen: “Wer mit dem, was Thomas da sagt, einverstanden ist, der hebe die Hand.” Dem leisten fast alle Folge. “Und nun begründet mal, warum ihr die Hand gehoben habt.” Und das eingangs erwähnte Chaos bricht los.

Offensichtlich ist eine solche oder ähnliche Reaktion von Ostermeier intendiert, es gab sie ja schon an anderen Spielorten. Es wäre interessant zu wissen, ob sich die Argentinier nun in den Augen des Ensembles als besonders demokratieunfähig erwiesen haben – da ja jeder nur seine eigene Überzeugung kundtun und “den anderen” nicht zu Wort kommen lassen wollte – oder ob den deutschen Gästen im Gegenteil die spontanen und individualistischen Ausbrüche gefallen haben.

Zu diesem Theatererlebnis ein sehr empfehlenwerter Beitrag von Rafael Spregelburd in Perfíl.com (auf Spanisch).

Als zweites deutsches Stück beim FIBA kann man am 18., 19. und 20. Oktober das hoch gelobte Werk “Diebe” des Deutschen Theaters Berlin sehen (Dramaturgie: Dea Loher, Regie: Andreas Kriegenburg). Es gibt sogar noch Karten! Infos auf der Webseite des FIBA.

Deutsche Theaterstücke in Buenos Aires

Click aquí para leer la versión en castellano.

“Ein Volksfeind” und “Diebe” werden im Rahmen des FIBA gezeigt / Der Kartenvorverkauf beginnt morgen


Freunde des Internationalen Theaterfestivals von Buenos Aires (FIBA), dessen 9. Ausgabe in diesem Jahr vom 4. bis 20. Oktober über die Bühne geht, wissen schon, dass immer auch besondere Leckerbissen aus Deutschland auf dem Programm stehen. Das Goethe-Institut Buenos Aires macht es auch diesmal wieder möglich: mit der Unterstützung der deutschen Botschaft und von Allianz Argentina lud es Theaterstar Thomas Ostermeier und die Schaubühne am Lehniner Platz mit ihrer Inszenierung von Ibsens gesellschaftskritischem Drama “Ein Volksfeind” in die argentinische Hauptstadt ein. Aufführungen sind am Sonntag, 6.10., um 19.30 Uhr, Dienstag, 8.10., um 20 Uhr, und Mittwoch, 9.10., um 20 Uhr, im Martín Coronado-Saal des San Martín-Theaters (Av. Corrientes 1530).

Der Vorverkauf fürs FIBA, in dessen Rahmen 50 Veranstaltungen aus 13 Ländern gezeigt werden, startet am morgigen Montag, den 23.9., dann kann man versuchen, Karten über die Webseite des Festivals oder montags bis freitags von 11-19 Uhr in der Casa de la Cultura (Av. de Mayo 575) bzw. täglich von 11-19 Uhr an den Theaterkassen des San Martín-Theaters (s.o.), des Teatro Regio (Av. Córdoba 6056), des Teatro Alvear (Av. Corrientes 1659) oder des Teatro 25 de Mayo (Av. Triunvirato 4444) zu ergattern. Die Eintrittspreise betragen für die internationalen Gastspiele 50 bis 90 Pesos, für die nationalen Stücke 25 Pesos. Es gibt auch verbilligte Abonnements. Einige Veranstaltungen sind gratis. Für “Anfänger”: Die begehrtesten Stücke sind immer sehr schnell vergriffen und manchmal bereits am ersten Tag ausverkauft. Hartgesottene Fans stellen sich deshalb auf mehrstündiges Schlangestehen am ersten Vorverkaufstag ein.

Im Mittelpunkt des Stücks “Ein Volksfeind” stehen die Begriffe der Demokratie, des Wohlergehens der Bevölkerung und der Öffentlichkeit. Es ermöglicht eine Neubefragung gesellschaftlicher Werte und man fragt sich zudem, welche Chance die Wahrheit in einer durchökonomisierten Gesellschaft hat. Das Stück stellt einen Kontext dar, in dem sich Lateinamerika widerspiegeln kann: nicht um sich dort wiederzufinden, vielmehr um über die Aktualität des Öffentlichkeitsbegriffs in den teilweise sehr komplexen und in Frage gestellten Demokratien des Kontinents zu reflektieren. Weitere Infos hier.

Als weiteres Stück aus Deutschland kann man “Diebe” (Foto), inszeniert vom Deutschen Theater Berlin, ebenfalls im Coronado-Saal des San Martín-Theaters sehen. Geschrieben wurde das Werk von Dea Loher, Regie führt Andreas Kriegenburg. Aufführungstage sind: 18.10., 18.30 Uhr, 19.10., 18.30 Uhr, und 20.10., 16 Uhr.

Alemania en el IX Festival Internacional de Buenos Aires

Klicken Sie hier, um die deutsche Version zu lesen.

Se verán “Ein Volksfeind” y “Diebe” / La venta anticipada empieza mañana


Gracias al apoyo del Goethe-Institut, la Embajada de Alemania y Allianz Argentina, dos de las más importantes compañías teatrales de Alemania se presentan en el IX Festival Internacional de Buenos Aires (FIBA) organizado por el Gobierno de la Ciudad de Buenos Aires. Thomas Ostermeier y la compañía Schaubühne llegan a la Argentina con una adaptación de “Un enemigo del pueblo” (Ein Volksfeind) de Henrik Ibsen, y el Deutsches Theater Berlin presenta “Ladrones” (Diebe), una aclamada pieza de Dea Loher dirigida por Andreas Kriegenburg.

El FIBA, que se desarrollará entre el 4 y el 20 de octubre de 2013, ofrece en total 50 obras de 13 países. La venta anticipada empieza mañana, lunes, 23 de septiembre. Se podrán comprar entradas – de 50 a 90 pesos para los espectáculos internacionales, y 25 pesos para los nacionales – en el sitio web del Festival ó de lunes a viernes de 11 a 19 horas en la Casa de la Cultura (Av. de Mayo 575) ó todos los días de 11 a 19 horas en los siguientes teatros: Teatro San Martín (Av. Corrientes 1530), Teatro Regio (Av. Córdoba 6056), Teatro Alvear (Av. Corrientes 1659). Teatro 25 de Mayo (Av. Triunvirato 4444).

“Un enemigo del pueblo” (Ein Volksfeind)

¿Ibsen para indignados? ¿Qué oportunidad tiene la verdad en una sociedad determinada por lo económico? El drama político de Henrik Ibsen en una adaptación de Thomas Ostermeier y la compañía Schaubühne am Lehniner Platz. Funciones: domingo 6 de octubre a las 19.30 horas, martes 8 de octubre a las 20 horas y miércoles 9 de octubre a las 20 horas, en la Sala Martín Coronado, Teatro San Martín (Av. Corrientes 1530).

La pieza cuenta la lucha de un médico por destapar la verdad sobre la contaminación de las aguas en un balneario de la ciudad, teniendo que enfrentarse duramente a los intereses económicos. En el centro de la obra están los valores de la democracia, el bienestar de la sociedad, la corrupción y la esfera pública. El doctor Stockmann descubre que la fuente de agua potable y medicinal está contaminada con microorganismos patogénicos. Quiere darlo a conocer de inmediato, publicarlo en el diario. Pero su hermano, precisamente el alcalde de la ciudad, plantea inquietudes y reparos. La obra de Ibsen transita por una delgada línea entre honestidad y fanatismo.

Para Thomas Ostermeier, que ha reescrito el 80% del texto original de Ibsen para adaptarlo a nuestra época, la pregunta esencial gira en torno “al poder de la verdad” en una sociedad marcada por la economía, donde el beneficio se ha erigido en el principio dominante. La compañía Schaubühne continúa su tradición de interpretaciones modernas y críticas de obras clásicas y adopta nuevas formas de teatro musical con elementos de la danza.

“Ladrones” (Diebe)

Una obra de Dea Loher dirigida por Andreas Kriegenburg. Presenta el Deutsches Theater Berlin. Funciones: Viernes 18 de octubre a las 18.30 horas, sábado 19 de octubre a las 18.30 horas y domingo 20 de octubre a las 16 horas, en la Sala Martín Coronado, Teatro San Martín (Av. Corrientes 1530). Invitada por el Goethe-Institut, la autora Dea Loher dialogará con el público al finalizar las dos primeras funciones. Participará también el director, Andreas Kriegenburg.

“Cree usted que hay muchos de mi clase. Personas como yo, que viven como si no vivieran. Que andan a hurtadillas por su propia vida, cautelosos y esquivos, como si nada de ella les perteneciera, como si no tuvieran derecho a permanecer en ella. Como si fuéramos ladrones.” Ladrones, escribe la autora Dea Loher, sondea esas escenas en la vida común y corriente de sus protagonistas que, por justamente parecer insignificantes, resultan dignas de ser contadas. Los personajes se encuentran unos con otros en distintas situaciones y vuelven a juntarse de maneras insospechadas. Se presenta un panorama oscuro y cómico a la vez de la gente de nuestro tiempo: siempre mirando el abismo, pero sin perder la esperanza.

El Deutsches Theater tiene un elenco permanente de aclamados artistas. Se caracteriza por sus obras emblemáticas, sus constantes colaboraciones con directores nuevos y consagrados, y la confianza puesta en las habilidades de su talentoso elenco. El director y escenógrafo Andreas Kriegenburg monta estas historias cotidianas, entre cómicas y sombrías, en una maravillosa y versátil construcción escénica semejante a una gigantesca rueda de molino. Cada leve giro de la rueda propone a los actores una interacción siempre nueva con la escenografía que cambia. Esto requiere de los actores, además de su capacidad histriónica, facultades casi acrobáticas. Por su trabajo en “Ladrones”, Andreas Kriegenburg fue nombrado “escenógrafo del año”. En el prestigioso festival de teatro Mülheimer Theatertage el texto de Dea Loher obtuvo el Premio del Público.

Sobre la obra: Finn, un agente de seguros, abre los ojos y sabe que no quiere levantarse de la cama nunca más. Su hermana Linda vio un lobo y tiene la esperanza de que sus baños termales, al borde de la quiebra, pronto queden dentro de un área natural protegida. Erwin, el padre de ambos, desearía tener alguna vez una conversación normal, sobre el clima o las estrellas. A Monika, vendedora de supermercado, le prometieron un ascenso. Quizá, directora de un mercado en Holanda. Su esposo Thomas, policía, estaría dispuesto a acompañarla. El señor y la señora Schmitt se sienten observados. ¿Por un animal? Mira, embarazada, no quiere tener a su hijo. Josef, el padre, quiere tenerlo a como dé lugar. Gabi y Rainer buscan un departamento, o sólo hacen como si lo buscaran. Ira, una mujer mayor, echa de menos a su esposo. Él sólo había salido a dar un paseo.

Foto:
Afiche de “Ladrones”.

Emotionale Zeitreise

“Las Multitudes” von Federico León ist vom 16. August bis 14. September wieder im Centro Cultural San Martín zu sehen

Von Susanne Franz


Es ist ein Theatererlebnis der besonderen Art. In seinem Werk “Las Multitudes”, das ab morgen – und bis zum 14. September – im Saal AB des Centro Cultural San Martín gezeigt wird, arbeitet der junge argentinische Theater- und Kinoregisseur Federico León mit 120 Schauspielern, mit Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen, älteren und alten Menschen. Er schrieb das Werk, nachdem er probeweise an einem Wochenende mit einer Gruppe von 100 Schauspielern zusammengekommen war, damit er sich die Wirkung einer solchen Masse vorstellen konnte.

In “Las Multitudes” bewegen sich die Menschen meistens im Schutz ihrer Altersgruppe, eine Ausnahme bilden die Familien mit Kindern, die aber keine größere Bedeutung im Stück haben. León sagt: “Sie sind nicht direkt in das Drama der Liebe involviert”, wie die anderen, die die “Hauptrollen” spielen: Die beiden Gruppen der jugendlichen Männer und Mädchen, die das Potenzial für die Zukunft, Idealismus, Sehnsucht und die Suche nach Liebe verkörpern, und die beiden Gruppen der alten Männer und Frauen, die Lebenserfahrung, Weisheit und Verzeihen symbolisieren, die aber auch auf eine berührende Weise “Kindsköpfe” sind.

Die jungen Erwachsenen sind bereits gespalten: Während die jungen Männer sich noch für die jüngeren Mädchen interessieren, bauen die jungen Frauen mit ihnen schon an der Zukunft, der Familie. Hier herrscht noch eine Sehnsucht zurück in die Unberührtheit, während zugleich Zwänge, die die unerbittliche Zeit vorschreibt, nach vorne drängen.

Das Stück weist nur wenige Dialoge auf und verwendet bewusst eine einfache Sprache, die Akteure intonieren verhalten, wie in einem Traum. Mehr als Worte sind in dem Werk die Bewegungsströme der verschiedenen Gruppen von Bedeutung, die Art, wie die Akteure über die dunkle, fast völlig leere, riesige Bühne laufen, gehen, rennen, tanzen oder schreiten.

Die sehr sparsame, indirekte Beleuchtung – teils durch Spots, teils durch Taschenlampen, die die Schauspieler tragen -, hebt nur selten Gesichter aus der Masse hervor, eher zeichnet sie geheimnisvolle Muster auf die helle Kleidung der Mitwirkenden oder setzt da Akzente, wo sie gänzlich “ausgeschaltet” wird.

Ein machtvollerer Faktor als das Wort ist auch die Musik (Federico León arbeitete in “Las Multitudes” erstmals mit einem Musiker, Diego Vainer, zusammen). Vom intensiven Raunen einer Gruppe Frauen nach einem Tanz über eine geheimnisvolle Melodie, die die alten Frauen den jungen weitergeben, bis zu einem melancholischen Duo mit Gitarre und Mundharmonika und sogar einem echten Rockkonzert ist die Musik der stärkste emotionale Träger des Werkes.

Zu Beginn ist die Menschenmenge in “Las Multitudes” heterogen, die einzelnen Gruppen sind untereinander zerstritten oder suchen einander, sind aber immer zur falschen Zeit am falschen Ort. Erst im Laufe des Stückes kommen die Menschen zusammen, fechten ihre Zwistigkeiten aus oder lösen sich schon mal aus ihrer Gruppe, um einem anderen Einzelnen allein zu begegnen.

Parallel dazu wird das Publikum, das als anonyme Masse der Schauspielergruppe gegenübersteht, zusehends in das Geschehen hineingezogen und schließlich zu einem Teil der Geschichte. Diese magische Kommunikation wird mit den scheinbar einfachsten Mitteln erreicht – kein Pathos trennt den “vortragenden” Schauspieler vom Zuschauer, der Humor ist nie manipulativ, sondern eher Situationskomik, mit der sich jeder identifizieren kann. Die Zuschauer können sich in dem Werk, das für jedes Alter geeignet ist, selbst wiederfinden, z.B. in einer der Altersgruppen, oder sie können sich zurückerinnern, oder sich die Zukunft vorstellen, oder alles gleichzeitig. Jeder fügt im Stillen seine eigene Geschichte, sein eigenes Potenzial, dem Werk hinzu.

“Las Multitudes” ist in gewisser Weise eine Zeitreise: Ein Trip durch ein (oder in ein) Raum-Zeit-Kontinuum, in dem die Zeit stehenzubleiben scheint, weil alle Zeiten gleichzeitig nebeneinander existieren, und in dem die Bewegungen der vielen Menschen im Raum auch deshalb eine so starke Wirkung haben, weil hier eigentlich gar keine Bewegung stattfinden dürfte.

In diesem paradoxen Universum gibt es so etwas wie einen Fixstern: Einen besonderen Schauspieler, der sowohl die Menge auf der Bühne als auch das Publikum steuert: Julián (gespielt von dem hervorragenden Schauspieler Julián Zuker) ist ein Kind auf der Schwelle zum Jugendlichenalter, der einzige, der als “isoliertes” Individuum auftritt. Die Figur Julián wurde von dem Werk selbst geboren, Federico León hatte sie zunächst nicht vorgesehen. “Julián ist derjenige, der das alles träumt, der, der die Fäden zieht”, sagt León über diesen kleinen Magier, der die “Multitudes” erklingen lässt wie ein Dirigent, der ein Orchester leitet.

Das sehr empfehlenswerte Werk wird ab Donnerstag, 16. August, im Saal AB des Centro Cultural San Martín (Sarmiento 1551, Buenos Aires) wieder aufgeführt, und ist bis zum 14. September donnerstags, freitags und samstags um 21 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 60 Pesos (donnerstags 40); Karten gibt es an der Kasse des Centro Cultural San Martín oder bei www.tuentrada.com. Für gebrechliche oder anderweitig behinderte Menschen ist extra vorne eine Reihe Stühle aufgestellt.

Im Oktober ist das Stück Teil des Programms des IX. Internationalen Theaterfestivals von Buenos Aires.

Das Stück:
Federico Leóns Theaterwerk “Las Multitudes” feierte Ende Juli 2012 im experimentellen Werkstatt-Theater TACEC in La Plata, Hauptstadt der Provinz Buenos Aires, seine Weltpremiere. Ende September wurde das Werk im Rahmen des internationalen Theaterfestivals “Foreign Affairs” in Berlin gefeiert; neben einigen Argentiniern aus dem Stamm-Ensemble machten dabei auch zahlreiche deutsche Schauspieler mit. Im November und Dezember 2012 wurde “Las Multitudes” mit großem Erfolg im Centro Cultural San Martín in Buenos Aires gezeigt.

Nach der Spielzeit 2013 vom 16. August bis 14. September im Centro Cultural San Martín wird “Las Multitudes” nach Österreich reisen, wo es am 10., 11. und 12. Oktober im Rahmen des Festivals Steirischer Herbst aufgeführt wird. Zwei Wochen vor Beginn der Vorstellungen wird Federico León das Werk vor Ort mit 13 argentinischen Ensemble-Mitgliedern und 107 österreichischen Schauspielern einstudieren.

Foto:
Miteinander oder gegeneinander? Eine Szene aus “Las Multitudes”.
(Foto: Sebastián Arpesella)

Die Leichtigkeit des Lebens genießen

Tangofestival und -WM von Buenos Aires startet morgen

Von Maren van Treel


“Ich liebe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere aller Dinge”, sagte einst Augustinus von Hippo. Die Leichtigkeit des Lebens zu genießen, dazu lädt das Tangofestival von Buenos Aires vom 14. bis zum 27. August ein. Parallel findet die Tangoweltmeisterschaft in der Hauptstadt statt.

Eröffnet wird das Festival vom Ensemble “Sexteto Mayor”, das auch sein 40-jähriges Bestehen feiert. Während der zwei Wochen haben die Besucher die Möglichkeit zum Zuschauen, aber auch, selbst zu tanzen. So gibt es Konzerte, Milongas, Tanzshows, einen internationalen Tangowettbewerb, aber auch Tangostunden.

Eine besondere Ehrung gilt dieses Jahr dem Komponisten Gerardo Gandini, der im März verstarb. Sein Werk “Tangos y Postangos para Big Band” wird ebenfalls zu sehen sein. Das Festival verteilt sich über mehrere Teile der Stadt und alle Veranstaltungen sind kostenlos.

Herwig Mitteregger bezeichnete das Tanzen als “Träumen mit den Beinen”. In diesem Sinne lädt Buenos Aires in diesen Wochen zu einer traumhaften Zeit. Weitere Informationen auf der Webseite des Festivals.

Foto:
Tanghetto.

Von der großen in die kleine Welt

Neues Programm des “Ballet Contemporáneo del Teatro San Martín”

Von Maren van Treel


Mit Einbruch der Dunkelheit erwachen die Straßen von Buenos Aires zum Leben. Am Obelisken strömen Sinneseindrücke auf den kleinen Passanten, die denen des New Yorker Times Square gleichkommen: ein Meer von Autos, Lichtern, Menschen.
Nicht unweit des Obelisken befindet sich der nächste Superlativ, das Teatro San Martín. Mit dem Öffnen der Tür tritt man jedoch von der großen Welt vor der Tür in die kleine Welt für sich.

Am Freitagabend vergangener Woche fand hier die Aufführung dreier verschiedener Werke statt, getanzt vom “Ballet Contemporáneo” unter der Leitung Mauricio Wainrots. Uraufgeführt wurden das Werk “Galaxia” mit Choreographie und Videoinstallationen von Margarita Bali und “Oscuras golondrinas” unter der Leitung Daniel Goldins, wieder aufgenommen wurde das bekannte Werk “La consagración de la primavera” mit einer Choreographie von Mauricio Wainrot.

Auch hier wurde der Zuschauer von der großen in die kleine Welt geführt, denn begonnen wurde mit dem Stück “Galaxias”, inszeniert von Margarita Bali zur Musik von Gabriel Gendín. Mit dem Erscheinen des Universums auf der Leinwand an der Rückwand der Bühne wurde der Zuschauer mitgenommen in eine Welt, die unbegreiflich größer ist als die große Stadt vor der Tür des Theaters.

Die Videoinstallationen und die Miniaturtänzer auf der Leinwand wurden von ihren menschlichen Vorbildern begleitet, die jeweils mit einer weißen Kugel in der Hand auf die Bühne eilten.

Was dann folgte, waren tanzende Galaxien, jeder der Tänzer ein Stern oder ein Planet. Die Zuschauer sahen die unterschiedlichsten Phänomene des Universums. Im Mittelpunkt stand dabei die immerwährende Bewegung des Kosmos. So wie die Planeten sich um ihre eigene Achse drehen, drehten sich auch die Tänzer in Pirouetten um sich selbst. Unterbrochen wurden die einzelnen Sequenzen von einem Mann im schwarzen Frack, der einen Astronomen darstellte und die Ereignisse sorgfältig studierte.

Das zweite Stück trug den Namen “Oscuras golondrinas” und wurde unter der Leitung Daniel Goldins zu der Musik von Dimitri Schostakowitsch aufgeführt. Vom Universum zurück zum Planeten Erde, der Schauplatz: die Stadt. Straßenlaternen, beschmierte graue Wände, eine Bushaltestelle, ein Haus. Die Handlung sponn sich um das Leben der Menschen in der Metropole. Oft tanzten die Tänzer parallel zueinander, liefen aneinander vorbei, hektisch und schnell. Selten schenkten sie sich innige Gesten. Parallel zueinander und dem Publikum zugewandt, fassten sie sich allesamt wie verzweifelt an den Kopf oder bewegten die Lippen wie im Gespräch zu einem unsichtbaren Gegenüber – dem Publikum, oder gar sich selbst? Das Ganze hatte fast etwas Zombiehaftes. Leben in der großen Stadt: Anonymität, ein Nebeneinander, selten ein Miteinander, und ein ewiges Überschneiden der Lebenswege an den immer gleichen Orten des Alltags. Ihren Ausdruck fand diese Melancholie auch darin, dass alle Tänzer zum Schluss schwarze Mäntel trugen. Einsamkeit und Isolation mitten in der Menschenmasse.

Das dritte und letzte Stück des Abends war das bekannte Ballett “La consagración de la primavera”. Das Stück wurde neu inszeniert von Mauricio Wainrot, dem Leiter des “Ballet Contemporáneo”. Es spielt im heidnischen Russland und handelt von einer Frühlingsopferung zur Beschwichtigung des Frühlingsgottes.

In Pastelltönen gekleidet, boten die Tänzer dem Publikum ein Spektakel der Gruppendynamik. Besonders eindrucksvoll war der rivalisierende Tanz der Geschlechter, bei dem die Männer auf dem rechten und die Frauen zeitgleich auf dem linken Teil der Bühne tanzten. Im Laufe des Stücks wurde die Jungfrau bestimmt, die geopfert werden sollte. Vergeblich flehte sie um Gnade, fügte sich dann jedoch in ihr Schicksal. Gekrönt wurde das Ganze mit einem spektakulären Schlussbild.

Mit dieser letzten Szene schloss sich der Vorhang, es gab “Bravo”-Rufe, und das Publikum strömte aus dem Saal. Hinaus aus der kleinen Welt, zurück in die große.

Die Aufführung der drei Werke ist noch bis zum 25. August donnerstags um 14.30 Uhr, freitags und samstags jeweils um 20.30 Uhr und sonntags um 19 Uhr im Teatro San Martín (Av. Corrientes 1530) zu sehen. Sie dauert insgesamt 130 Minuten und beinhaltet zwei Pausen von je einer halben Stunde. Der Eintritt kostet 70 Pesos für Sitzplätze im Pullman und 90 Pesos für Sitzplätze im Parterre. Donnerstags kann man sich die drei Stücke für nur 30 Pesos ansehen.

Foto:
Tanzende Galaxien: Choreographie von Margarita Bali.
(Carlos Flynn)